GRUNDFÄHIGKEITSVERSICHERUNG | URTEIL | OLG KÖLN | 11.07.2025 | AZ: 20 U 163/23 | SO MÜSSEN VERSICHERER DIE GRUNDFÄHIGKEIT DEFINIEREN
URTEIL ZUR GRUNDFÄHIGKEITS-VERSICHERUNG MIT SIGNALWIRKUNG: KUNDENRECHTE BEI GRUNDFÄHIGKEITS-VERSICHERUNG AUSGEBAUT
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Urteil OLG Köln vom 11. Juli 2025, 20 U 163/23
Datum:
11.07.2025
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
- Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 U 163/23
ECLI:
ECLI:DE:OLGK:2025:0711.20U163.23.00
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 26 O 553/20
Schlagworte:
Grundfähigkeitsversicherung, Grundfähigkeitsrente
Normen:
ZPO §§ 850b; 240; InsO § 35
Tenor:
Der Rechtsstreit ist nicht nach § 240 ZPO unterbrochen.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.05.2023 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 26 O 553/20 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet
Gründe
I.
Der am 08.11.1960 geborene Kläger macht Leistungen aus einem mit der Beklagten abgeschlossenen Grundfähigkeitsversicherungsvertrag wegen des von ihm behaupteten Verlusts der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ ab Januar 2019 geltend. Aufgrund einer vereinbarten Dynamik betrug die garantierte Grundfähigkeitsrente zum 01.01.2019 monatlich 2.128,36 €. Auf den als Anlage K1 überreichten Versicherungsschein vom 05.10.2016 (Bl. 6 ff. LGA), den Dynamiknachtrag zum 01.09.2019 aus Juli 2019 (Anlage K2, Bl. 14 ff. LGA) und die in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Grundfähigkeits-Versicherung der Beklagten (AVB GFV; überreicht als Anlage BLD1, Bl. 114 ff. LGA) wird wegen der vertraglichen Vereinbarungen im Einzelnen Bezug genommen.
In § 2 AVB GFV (vgl. Bl. 116 LGA) ist der Verlust der Grundfähigkeit wie folgt definiert:
§ 2 |
Was ist eine Beeinträchtigung von körperlichen Fähigkeiten im Sinne dieser Bedingungen (Verlust einer Grundfähigkeit)? |
(1) |
Wenn bei der versicherten Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die fachärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen eine Beeinträchtigung einer der nachstehenden acht körperlichen Fähigkeiten im beschriebenen Umfang bestehen wird oder bereits sechs Monate ununterbrochen bestand, so liegt von Beginn dieses Zustands an eine Beeinträchtigung einer körperlichen Fähigkeit im Sinne dieser Versicherungsbedingungen vor. Die Beeinträchtigung einer der beschriebenen körperlichen Fähigkeiten gilt als Verlust einer Grundfähigkeit. |
(2) |
Versicherte Grundfähigkeiten |
[…] |
|
g) Knien/Bücken Ein Verlust liegt vor, wenn die versicherte Person nicht mehr in der Lage ist, sich aus eigener Kraft zu bücken oder hinzuknien, um mit den Fingern den Boden zu berühren, und sich danach wieder aufzurichten. |
|
[…] |
Der Kläger stellte am 11.02.2019 den als Anlage K5 (Bl. 58 ff. LGA) überreichten Leistungsantrag, den die Beklagte nach von ihr durchgeführter Leistungsprüfung mit Schreiben vom 06.09.2019 ablehnte.
Der Kläger behauptet, bei ihm liege seit dem 01.01.2019 der Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ im Sinne der Versicherungsbedingungen vor.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
- 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 43.421,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 2.128,36 € seit dem 01.01.2019, 01.02.2019, 01.03.2019, 01.04.2019, 01.05.2019, 01.06.2019, 01.07.2019, 01.08.2019,
und aus 2.199,51 € seit dem 01.09.2019, 01.10.2019, 01.11.2019, 01.12.2019, 01.01.2020, 01.02.2020, 01.03.2020, 01.04.2020, 01.05.2020, 01.06.2020, 01.07.2020, 01.08.2020, 01.09.2020, 01.10.2020, 01.11.2020 und 01.12.2020
zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 01.05.2020 2.199,51 € zahlbar monatlich im Voraus für die Dauer der fortbestehenden bedingungsgemäßen Grundunfähigkeit und längstens bis zum Ablauf des 01.09.2027 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Verpflichtung, Beiträge zu dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer: GrundfähigkeitsPolice Nr. N01 zu zahlen, ab dem 01.10.2019 für die Dauer der fortbestehenden bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit und längstens bis zum Ablauf des 01.09.2027 freizustellen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 360,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 120,20 € seit dem 31.01.2019, seit dem 28.02.2019 und seit dem 31.03.2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet den Eintritt des bedingungsgemäßen Verlusts der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ bei dem Kläger.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens (vgl. Gutachten Dr. M., Bl. 247 ff. LGA) sowie die mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. M. (vgl. Protokoll vom 27.03.2023, Bl. 341 ff. LGA).
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird im Übrigen auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und die Beklagte zu monatlichen Versicherungsleistungen in Höhe von 2.128,36 € für die Zeit ab Januar 2019 nebst Zinsen ab dem 07.09.2019 unter gleichzeitiger Freistellung des Klägers von den laufenden Beiträgen sowie zur Rückzahlung von drei Beiträgen (zu je 120,00 €) verurteilt. Abgewiesen hat es die Klage nur insoweit, als der Kläger eine weitere Dynamisierung seiner Grundrente auch für die Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls begehrt und er mit den Klageanträgen zu 1. und zu 2. die Zahlung für vier Monate doppelt geltend gemacht hat.
Seine Entscheidung, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die versicherte Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ seit Anfang des Jahres 2019 bei dem Kläger entsprechend den Versicherungsbedingungen aufgehoben sei. Dies ergebe sich aus den überzeugenden, widerspruchsfreien und im Einzelnen nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. M.. Danach liege ausweislich der Röntgenbilder in beiden Knien des Klägers eine deutlich über dem altersentsprechenden Niveau ausgeprägte Arthrose vor. Zudem sei eine Schädigung im Bereich der Lendenwirbelsäule aufgrund eines Bandscheibenvorfalls vorhanden. Da im Bereich der Lendenwirbelsäule auch eine Nervenwurzel beeinträchtigt sei, komme es zu Ausstrahlungswirkungen insbesondere ins rechte Bein. Der Kläger sei nach den Untersuchungsergebnissen eindeutig nicht mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft zu bücken oder hinzuknien, um mit den Fingern den Boden zu berühren und sich danach wiederaufzurichten. Es sei dem Kläger u.a. nicht möglich, selbständig eine Hockposition einzunehmen, geschweige denn, sich aus einer solchen selbständig ohne Hilfsmittel wiederaufzurichten. Der Sachverständige habe gestützt auf seine jahrelange Berufserfahrung die Beschwerdeschilderungen des Klägers mit überzeugender Begründung als plausibel beurteilt und eine Simulation und/oder Aggravation des Klägers nachvollziehbar als äußerst unwahrscheinlich eingeschätzt.
Die Beklagte verfolgt mit ihrer dagegen gerichteten Berufung die vollständige Klageabweisung weiter. Sie greift insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Das Urteil lasse jegliche Auseinandersetzung mit dem von ihr vorgerichtlich eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr. D. (überreicht als Anlage K4, Bl. 29 ff. LGA) und dessen ergänzender Stellungnahme vom 13.09.2022 (überreicht als Anlage BLD9, Bl. 303 ff. LGA) vermissen. Zudem beruhe das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. M. ausschließlich auf der subjektiven Beschwerdeschilderung des Klägers und den von ihm demonstrierten Bewegungsbeeinträchtigungen, ohne die diesbezüglichen erheblichen – von der Beklagten unter Bezugnahme auf die privatgutachterlichen Ausführungen näher dargestellten – Inkonsistenzen und das Fehlen damit korrespondierender objektiver Befunde zu berücksichtigen. Der Sachverständige Dr. M. habe sich ferner widersprüchlich zu den Fragen geäußert, ob es dem Kläger möglich sei, in die Hocke zu gehen, und wie schwerwiegend die degenerativen Veränderungen der Kniegelenke des Klägers seien. Die Beklagte meint außerdem, der Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ sei bedingungsgemäß nur dann festzustellen, wenn der versicherten Person weder ein Bücken noch ein Knien möglich sei, um den Boden zu berühren und sich aus eigener Kraft wiederaufzurichten. Wenn der Kläger also noch die Fähigkeit habe, sich hinknien zu können, schließe dies den Eintritt des Versicherungsfalles aus. Schließlich sei ein Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ nach den Versicherungsbedingungen erst dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen nach dem Knien oder Bücken ein Aufrichten selbst ohne Hilfsmittel nicht mehr möglich sei, er also auf die Hilfe einer dritten Person („fremden Kraft“) angewiesen sei. Aus „eigener Kraft“ heiße nicht „ohne Hilfsmittel“. Hilfsmittel änderten nichts daran, dass ausschließlich die eigene Kraft eingesetzt werde.
Die Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Während des Berufungsverfahrens hat das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Aachen (91 IN 2/24) mit Beschluss vom 10.04.2024 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und Rechtsanwalt Dr. H. G. zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Insolvenzverwalter hat sich mit Schriftsatz vom 15.04.2024 (vgl. Bl. 97 ff. GA) auf die Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO berufen.
Der Kläger begehrt demgegenüber die Fortsetzung des Berufungsverfahrens und vertritt hierzu die Ansicht, die streitgegenständlichen Ansprüche seien nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unpfändbar.
Der Senat hat die Parteien und den Insolvenzverwalter mit Beschluss vom 14.11.2024 (Bl. 132 ff. GA) darauf hingewiesen, dass das Verfahren wegen der nur bedingten Pfändbarkeit der Ansprüche nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 ZPO mangels Antrags des Insolvenzverwalters auf Pfändbarkeitserklärung nicht nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist.
Mit Beschluss vom 20.01.2025 (Bl. 152 ff. GA) hat der Senat die Beklagte auf die beabsichtigte Zurückweisung ihrer Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO und die Gründe hierfür hingewiesen. Auf die hierzu ergangene Stellungnahme der Beklagten vom 05.03.2025 hat der Senat zur Klarstellung einen ergänzenden Hinweis mit Beschluss vom 06.03.2025 erteilt (Bl. 180 ff. LGA).
Der Insolvenzverwalter hat mit Schriftsatz vom 22.04.2025 (Bl. 217 f. GA) die Ansicht vertreten, die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers unterlägen nicht dem bedingten Pfändungsschutz nach § 850b Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, sondern unabhängig von einer diesbezüglichen gerichtlichen Pfändbarkeitsentscheidung in voller Höhe dem Insolvenzbeschlag.
Die Beklagte hat dem Insolvenzverwalter daraufhin mit Schriftsatz vom 22.05.2025 (Bl. 274 ff. GA), der dem Insolvenzverwalter am 26.05.2025 (Bl. 323 f. GA) zugestellt worden ist, den Streit verkündet. Einen Beitritt hat der Insolvenzverwalter nicht erklärt; einen Antrag entsprechend § 850b Abs. 2 ZPO hat er ebenfalls nicht gestellt.
Ergänzend wird auf das schriftsätzliche Vorbringen nebst Anlagen sowohl der Parteien als auch des Insolvenzverwalters verwiesen.
II.
Das Berufungsverfahren ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers nicht nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden und deshalb mit den (bisherigen) Parteien des Rechtsstreits fortzusetzen.
Nach § 240 Satz 1 ZPO wird das Verfahren im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird, wenn es die Insolvenzmasse betrifft.
Letzteres ist hier nicht der Fall. Die streitgegenständlichen Forderungen des Klägers auf Leistung aus der bei der Beklagten abgeschlossenen Grundfähigkeitsversicherung fallen – vorbehaltlich einer zu beantragenden Pfändbarkeitserklärung entsprechend § 850b Abs. 2 ZPO – nicht in die Insolvenzmasse.
Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 Satz 1 InsO). Unpfändbar sind nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Insolvenzverfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass bedingt pfändbare Bezüge des Schuldners in die Insolvenzmasse fallen, soweit dies nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge der Billigkeit entspricht (BGH, Urteil vom 03.12.2009 – IX ZR 189/08, juris Rn. 5, Rn. 10 ff.; Urteil vom 15.07.2010 – IX ZR 132/09, juris Rn. 41). Die Entscheidung über die Massezugehörigkeit ist auf einen entsprechenden Antrag des Insolvenzverwalters nach § 36 Abs. 4 InsO hin grundsätzlich von dem Insolvenzgericht oder unter Umständen auch von dem Prozessgericht zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2010 – IX ZR 132/09, juris Rn. 41; Urteil vom 03.12.2009 – IX ZR 189/08, juris Rn. 10).
Bei der streitgegenständlichen Grundfähigkeitsrente handelt es sich um eine Rente, die wegen einer Beeinträchtigung körperlicher Fähigkeiten infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls gezahlt wird. Sie fällt deshalb schon nach dem Wortlaut des § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in dessen unmittelbaren Anwendungsbereich. Auch Selbständige können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den Schutz des § 850b ZPO berufen (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 15.07.2010 – IX ZR 132/09, juris Rn. 42 ff.; Urteil vom 03.07.2023 – VIa ZR 155/23, juris Rn. 11). Es widerspricht überdies nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, auch Leistungen aus einer Grundfähigkeitsversicherung dem bedingten Pfändungsschutz zu unterwerfen. Der in § 850b ZPO geregelte Pfändungsschutz von Geldrenten, die wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, dient der Sicherung der Existenz(grundlage) des Schuldners. Auch Haftpflicht- und Berufsunfähigkeitsrenten, die ganz oder zum Teil an die Stelle des bisherigen Einkommens des Schuldners treten, der damit sodann seinen Lebensunterhalt bestreiten muss, werden daher von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2025 – IX ZR 91/24, juris Rn. 19; Urteil vom 15.07.2010 – IX ZR 132/09, juris Rn. 44; Urteil vom 03.12.2009 – IX ZR 189/08, juris Rn. 5 ff.). Es ist nichts dafür vorgetragen, dass die in Streit stehende Grundfähigkeitsrente nicht auch existenzsichernden Charakter hätte und wegfallendes Arbeitseinkommen ersetzen sollte. Gründe, sie von dem (bedingten) Pfändungsschutz entgegen dem Wortlaut des § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO von vornherein auszunehmen, hat auch der Insolvenzverwalter nicht dargelegt.
Den im Rahmen der Gesamtvollstreckung nach § 36 Abs. 4 InsO erforderlichen Antrag des Insolvenzverwalters, die Leistungen entsprechend § 850b Abs. 2 ZPO ganz oder zumindest teilweise dem Insolvenzbeschlag zu unterwerfen, hat dieser trotz des seit über einem Jahr laufenden Insolvenzverfahrens und des entsprechenden Hinweises des Senats nicht gestellt. Er vertritt vielmehr ausdrücklich und nicht nur hilfsweise die Auffassung, es bedürfe keiner gerichtlichen Entscheidung über die Massezugehörigkeit (vgl. Bl. 217 f. GA). Ein konkludenter Antrag liegt vor diesem Hintergrund auch nicht in seiner Erklärung, er gehe von einer Unterbrechung dieses Verfahrens nach § 240 ZPO aus.
Von dem Erlass einer vorausgehenden Zwischenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 303 ZPO hat der Senat abgesehen. Die vorab getroffene Feststellung, dass eine Unterbrechung nicht eingetreten ist, brächte weder den Parteien noch dem Insolvenzverwalter Vorteile, weil die Sache ohnehin zur Endentscheidung reif ist und der nach § 522 Abs. 2 ZPO ergehende Zurückweisungsbeschluss sodann nach allgemeinen Regeln der Anfechtung unterliegt. Dem Insolvenzverwalter steht es grundsätzlich zu, Rechtsmittel mit der Begründung einzulegen, es liege ein Verstoß gegen § 249 ZPO vor (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 – IX ZR 21/19, juris Rn. 15; Beschluss vom 17.12.2008 – XII ZB 125/06, juris Rn. 14; Urteil vom 16.01.1997 – IX ZR 220/96, juris Rn. 10).
III.
Die Berufung ist nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Der Senat ist weiterhin einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung der Beklagten in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat vollumfänglich auf seinen Hinweisbeschluss vom 20.01.2025 (Bl. 152 ff. GA) sowie seinen weiteren Hinweisbeschluss vom 06.03.2025 (Bl. 179 ff. GA).
Die darauf ergangene weitere Stellungnahme der Beklagten rechtfertigt keine ihr günstigere Entscheidung.
Der Senat hält insbesondere auch nach nochmaliger Überprüfung der Rechtsauffassung der Beklagten an seiner Würdigung fest, dass die in Streit stehende Klausel nicht dahingehend zu verstehen ist, dass der Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ erst dann eingetreten ist, wenn es der versicherten Person selbst unter Hinzuziehung von Hilfsmitteln nicht mehr möglich ist, sich aus einer knienden oder aus einer hockenden Position wiederaufzurichten.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 30.04.2025 – IV ZR 126/23, juris Rn. 15 mwN). Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.
Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird der in Streit stehenden Formulierung „aus eigener Kraft“ die gemäß dem Wortlaut nächstliegende Bedeutung beimessen, dass es ihm allein aufgrund seiner eigenen körperlichen Kräfte, also auch allein und im freien Raum ohne gegenständliche Hilfsmittel oder die Hilfe einer anderen Person noch möglich sein müsste, sich wiederaufzurichten. Es erschließt sich kein Sinn der Klausel, der hinreichend deutlich für ein gegenteiliges Verständnis sprechen würde.
Nach dem überzeugenden Ergebnis des Sachverständigengutachtens ist es dem Kläger weder möglich, sich aus einer knienden noch aus einer hockenden Position selbständig aus eigener Kraft wiederaufzurichten. Es kommt daher bereits nicht entscheidend darauf an, ob der Kläger sich isoliert betrachtet überhaupt noch hinknien kann. Dass und warum die Beweiswürdigung des Landgerichts berufungsgerichtlich nicht zu beanstanden ist, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 20.01.2025 im Einzelnen ausgeführt.
IV.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis zu 155.000 €
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